Mein Name ist Bernd Sattler und ich arbeite seit vielen Jahren als Heilerziehungspfleger in einer dezentralen Wohngruppe für Menschen mit Behinderungen. Darum bin ich auch beruflich davon betroffen, wenn rechtspopulistische Ansichten in der Gesellschaft zunehmen.
 
Was bedeutet die AfD-Politik für Menschen mit Behinderungen? Was würde die AfD politisch umsetzen, wenn sie gewählt wird? Öffentliche Aussagen der AfD zu diesem Thema sind selten zu finden, am ehesten zu Inklusion.
Auf eine Anfrage der "Aktion Mensch" an die Parteien zum Thema Inklusion anläßlich der Europawahl 2024 hat die AfD nicht geantwortet.
Im Wahlprogramm der AfD zur Europawahl spricht sich die Partei klar gegen Inklusion im Bildungs- und Kulturbereich aus. 
 
Zuerst eine Begriffsdefinition zum Wort Inklusion: Das Wort kommt aus dem Lateinischen. Inklusion bedeutet eine Umgebung zu schaffen, die allen Menschen gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht. Das Gegenteil von Inklusion ist Exklusion - Menschen, die anders sind, werden ausgeschlossen und dürfen nicht mitmachen.
 
Im Sommer 2023 gab der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke ein vielbeachtetes Fernsehinterview im Mitteldeutschen Rundfunk. Dort sagte Björn Höcke: Inklusion sei lediglich ein "Ideologieprojekt und ein Belastungsfaktor. Das Bildungssystem müsse davon befreit werden."
Diese Worte führten zu einem Proteststurm von Behinderten- und Sozialverbänden.
 
In der Tat, Inklusion ist kein "Ideologieprojekt" der z. Zt. regierenden Ampel-Regierung, auch nicht der anderen Oppositionsparteien, noch der Europäischen Union. Es ist ein Menschenrecht. Am 13. Dezember 2006 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen das "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" beschlossen. Umgangssprachlich, die UN-Behindertenrechtskonvention. In Deutschland ist sie 2009 in Kraft getreten. Sie ist eine Konkretisierung der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" und der wichtigsten Menschenrechtsverträge der Vereinten Nationen bezogen auf die Situation von Menschen mit Behinderungen. Sie wurde erarbeitet und verabschiedet auf Grund der Erfahrung, dass diese Bevölkerungsgruppe weltweit bisher nicht ausreichend vor Diskriminierung und Ausgrenzung geschützt ist. Der Gedanke der Inklusion und Teilhabe hat darin zentrale Bedeutung. Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist ein Menschenrecht, kein Akt der Fürsorge und Gnade.
 
Bei einer Debatte im April 2018 im Saarländischen Landtag führten die Worte des AfD-Fraktionschefs Josef Dörr zu dem Thema Förderschulen für Entsetzen. Er sagte, dass in einem Krankenhaus gesunde und schwer infizierte Menschen getrennt würden. Dieses Bild treffe auch auf die Situation in Schulen zu. Durch die Inklusion würden an Schulen "Kinder mit Downsyndrom unterrichtet ... mit anderen Kindern, die ganz normal, gesund sind."
Er verglich also Kinder in einem Krankenhaus, die vor Kindern auf einer Isolierstation geschützt werden müssen, mit Kindern an einer Schule, die vor Kindern mit einer Behinderung geschützt werden müssten.
 
Häufig verbergen AfD-Parlamentarier ihre eigentliche Meinung in parlamentarischen Anfragen. Diese Anfragen sind rafiniert formuliert - jedes Wort - und es sind ja "nur" Fragen. 
Ein besonders krasses Beispiel vom April 2018, aufgelistet in 6 Einzelanfragen an die Bundesregierung: da will die AfD wissen, wie sich die Zahl der Schwerbehinderten seit 2012 entwickelt habe, insbesondere, die durch "Heirat innerhalb der Familie entstandenen" und wieviele einen Migrationshintergrund hätten. Die AfD stellt hier einen Bezug zwischen Inzest, Behinderung - selbstverschuldet - und Migration her.
 
Oder eine parlamentarische Anfrage im November 2019 im Bundestag: Die AfD will u.a. wissen, welche volkswirtschaftlichen Verluste durch die nicht genutzten Erwerbspotenziale von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Beziehern von Erwerbsminderungsrenten entstehen. Hinter der Frage darf vermutet werden, dass die Initiatoren darauf abzielen, dass festgestellt wird, dass psychisch kranke Menschen die Volkswirtschaft und die Sozialsysteme belasten.
 
Noch ein Blick in das Grundsatzprogramm der AfD:
Laut dem Grundsatzprogramm der AfD sollen psychisch kranke Menschen und alkohol- oder drogenabhängige Menschen, die jemanden angegriffen haben oder verletzt haben, die aber aufgrund ihrer Erkrankung schuldunfähig sind, nicht mehr in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht werden, sondern in nicht näher beschriebene Einrichtungen der "Sicherungsverwahrung". Folglich ohne medizinische und therapeutische Hilfeangebote. Solche Einrichtungen bzw. Lager gab es im Nationalsozialismus schon einmal.
 
Mein persönliches Fazit:
1.) Die AfD stellt sich mit ihrer grundsätzlichen Ablehnung von Inklusion und Teilhabe gegen die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. 
2.) Auch wenn das Menschenbild, das in den AfD-Äußerungen transportiert wird, gegenüber Flüchtlingen und Migranten besonders erbarmungslos und gefühlsarm ist, so ist das auch gegenüber Menschen mit Behinderungen, psychisch Kranken und Suchtkranken zu erkennen. Sie haben nach dem Weltbild der AfD keinen Platz in der Gesellschaft, sollen separiert werden. Die Verschiedenartigkeit von Menschen wird nicht als Bereicherung wahrgenommen. Dass Kinder in einer Integrationsklasse Werte wie Rücksichtnahme, soziale Kompetenz und Verantwortungsbereitschaft lernen, wird bei diesem Menschenbild nicht als Gewinn angesehen.
3.) Auf meiner Wohngruppe arbeiten zwei Auszubildende, Heilerziehungspflegeschülerinnen und sie kommen aus asiatischen Herkunftsländern. Sie haben zuerst Freiwilliges Soziales Jahr gemacht und machen jetzt bei uns die Ausbildung. Zuvor hatten wir zwei Schülerinnen aus einem afrikanischen Land. Ohne die jungen Menschen, die in unserer Wohngruppe über internationale Freiwilligendienste kommen, würden wir "ganz schön alt aussehen"!
4.) Auf dem Weg hierher ist mir noch was in den Kopf gekommen: am wenigsten Rassismus habe ich übrigens bei unseren Menschen mit Behinderung festgestellt. Sie denken überhaupt nicht in solchen Kategorien. Hier zählt nur, dass sie gut betreut werden, mit Wertschätzung, Liebe. Egal woher der Mensch kommt, was für eine Hautfarbe er hat.