Liebe Freundinnen und Freunde der Solidarität und Vielfalt!

 

Wir alle haben die neuesten Nachrichten im Fernsehen gesehen: vor der tunesischen Küste wurden hunderte von Bootsflüchtlingen von der tunesischen Küstenwache aufgegriffen und mit Bussen ins Niemandsland an der algerischen und lybischen Grenze gebracht. Sie wurden dort ohne Wasser und Lebensmittel ausgesetzt. Bei einer Rückkehr nach Tunesien wurde Ihnen die Erschiessung angedroht.

 Viele sind elendiglich gestorben.

Ursula von der Leyen hat im Rahmen des EU - Tunesien Deals

105 Millionen Euro für den Kampf gegen illegale Migration an Tunesien bezahlt.

Diese 105 Millionen Euro sind vorgesehen, damit die Regierung in Tunis gegen irreguläre Migration vorgeht. Die EU will eine Partnerschaft zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität, so von der Leyen. Sie sagt (Zitat):

"Außerdem werden wir unsere Koordinierung bei Such- und Rettungseinsätzen verstärken. Und wir haben vereinbart, dass wir beim Grenzschutz, bei Rückführungen und bei der Bekämpfung der Grundursachen unter voller Achtung des internationalen Rechts zusammenarbeiten werden."

Ich frage: wo werden hier die Menschenrechte gewahrt?

 

Im Flüchtlingslager Moria warten unbegleitete Minderjährige, die alle durch Ihre Erlebnisse im Heimatland und auf der Flucht traumatisiert sind, bis zu eineinhalb Jahren darauf, erst einmal einen Asylantrag stellen zu können – erst dann kommt das eigentliche Asylverfahren in Gang, das wiederum sehr lange dauern kann. Zwischenzeitlich erfahren diese Kinder erneute Traumatisierungen durch die unhaltbaren Zustände in Moria und die erzwungene Untätigkeit ohne Möglichkeit, eine Schule zu besuchen.

Sie alle wissen es: Moria ist eine griechische Insel; es gilt dort EU-Recht.

Ich frage: wo werden hier die Menschenrechte gewahrt?

 

Nach dem Grauen der beiden Weltkriege wurde 1948 die allgemeine Erklärung der Menschenrechte von den Vereinten Nationen verabschiedet. In ihr sind die für alle Menschen geltenden Grundrechte festgeschrieben. In Bezug auf Flüchtlinge ist insbesondere das Recht auf Leben und Freiheit, der Schutz vor Verhaftung und Ausweisung, die Freizügigkeit und Auswanderungsfreiheit und das Recht auf Asyl zu nennen.

Ich habe Ihnen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als Broschüre mitgebracht. Sie können diese nachher an unserem Stand vom Arbeitskreis Asyl erhalten.

 

Zurück zu Flucht und Migration.

 

Die Migration ist nicht das Problem. Das Problem ist die Skandalisierung der Migration. Das Problem ist, dass Migration instrumentalisiert wird, Das Problem ist, dass Migration dazu benutzt wird, unsere Gesellschaft zu spalten, insbesondere jetzt von der AfD durch ihr politisches Programm der Ausgrenzung und Abschiebung der Migranten und ihrer Unterstützer. Das Problem ist, dass die Geflüchteten zu Sündenböcken gemacht werden und an allem Schuld sein sollen, was bei uns und in Europa schief läuft.

Lasst uns allen, lasst uns insbesondere der AfD mit Argumenten gegen ihre verheerenden und menschenverachtenden Pläne mit den Migranten entgegentreten.

Lasst uns allen Gegnern der Migranten sagen:

Geflüchtete Menschen sichern mit ihrer Erwerbstätigkeit und dem Einzahlen in die deutsche Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung unsere Sozialsysteme  -  und sie bezahlen mit ihrer Erwerbstätigkeit ihre Steuern. Sie sind damit ein wichtiger Faktor bei der Bekämpfung der Armut.

Und sie bilden einen Teil unserer Gesellschaft von morgen.

Die Statistiken belegen:

64 % der 2015 nach Deutschland geflüchteten Menschen, also fast 2/3, waren im Jahr 2022 erwerbstätig, 7 Jahre nach ihrer Ankunft hier.

8 Jahre nach Aufenthalt in Deutschland übertrifft die Erwerbstätigenquote der geflüchteten Männer mit 86% die durchschnittliche Quote der männlichen Bevölkerung in Deutschland, die 81% beträgt.

Jeder dritte erwachsene Geflüchtete hat 6 Jahre nach Ankunft Schulen oder Hochschulen besucht oder Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen absolviert.

70 % der erwerbstätigen Geflüchteten üben eine qualifizierte Tätigkeit aus, für die ein Berufs- oder Studienabschluss notwendig ist.

65 % der erwerbstätigen geflüchteten, die seit 6 Jahren in Deutschland sind, arbeiten in Vollzeit.

Das sind harte Fakten, die statistisch belegbar sind.

Schauen wir nach Schwäbisch Gmünd.

Wir sind eine weltoffene Stadt und waren immer für Flüchtlinge offen.

Wir alle haben viel für die Flüchtlinge geleistet – und Flüchtlinge waren und sind eine Bereicherung für unsere Stadt!

Ich erinnere: nach dem Weltkrieg hatten wir sehr viele Heimatvertriebene

aufgenommen. 1949 haben es unsere Gmünder Väter und Mütter geschafft, dass für die 30 % des Bevölkerungsanteils, die die Vertriebenen darstellten, Schwäbisch Gmünd zu einer neue Heimat wurde.

Ich erinnere in neuerer Zeit an das Engagement der Geflüchteten bei den beiden Gartenschauen und bei der Staufersaga – und an die Kofferträger am Bahnhof. Ich erinnere mich besonders an einen Geflüchteten, der im damaligen Fastenmonat Ramadan bei großer Hitze die Koffer der Reisenden über die Behelfsbrücke trug, um so sein Engagement für unsere Stadtgemeinschaft zu zeigen – und zwar kostenlos.

Ich erinnere daran, dass viele Schwäbisch Gmünder bei der Fürsorge für die Geflüchteten mitgenommen werden konnten und mitgenommen werden können.

Ich erinnere beispielhaft:

an den Schweigemarsch für die Ertrunkenen im Mittelmeer,

an den Marsch der Menschlichkeit,

an die Spendenaufrufe für die Geflüchteten in Bihac – und hier sind insbesondere auch unsere muslimischen Mitbürger zu nennen, die erheblich gespendet haben: ein Kleinbus voller Spenden bis unter das Dach und 500€ wurden von allen von der Mevlana-Moschee gesammelt.

Ich erinnere an den Weg zum Sicheren Hafen Schwäbisch Gmünd mit dem einstimmigen Gemeinderatsbeschluss aller vertretenen Parteien.

Der sichere Hafen: ein Zusammenschluss von Kommunen, die sich bereit erklärt haben, zusätzlich aus Seenot gerettete Mittelmeerflüchtlinge aufzunehmen, die von den Seenotrettungsschiffen gerettet werden. Diese 44 Gemeinden, die sich zum Sicheren Hafen erklärt haben, bilden (Stand Dezember2023) 35 % der Gesamtbevölkerung Baden Württembergs ab. Ich erinnere daran, dass die Seebrücke Baden Württemberg den Stuttgarter Friedenspreis 2023 der Anstifter erhalten hat.

Ich erinnere – weniger spektakulär – an den Ostalbkreis mit dem ehemaligen Landrat Herrn Pavel und dem jetzigen Landrat Herrn Bläse, insbesondere an die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sozialamt, an die Sozialarbeiterinnen in den Gemeinschaftsunterkünften, an die Mitarbeiterinnen im Ausländeramt – sie alle arbeiten hart am Limit, besonders bei der großen Anzahl der Ukraineflüchtlinge in Gmünd. Ich erinnere an die Stadt Schwäbisch Gmünd - neben dem OB Herrn Arnold ebenfalls an die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, besonders erwähnen möchte ich das Sozialamt und das Wellcomecenter.

Ich erinnere an die Glaubensgemeinschaften hier in Schwäbisch Gmünd – an das interreligiöse Friedensgebet am Muttertag hier auf dem Johannisplatz , an die beiden christlichen Kirchen mit den ökumenischen Gottesdiensten, an die evangelische Gesamtkirchengemeinde, die als Mitglied bei der Organisation Rescue4you die Seenotrettung unterstützt und zusätzlich einmal im Jahr eine zur Kollekte bei einem Gottesdienst aufruft.

Ich erinnere an das Kloster der Franziskanerinnen mit seiner Fürsorge für die geflüchteten Jesidinen.

Und ich erinnere besonders an die vielen Haupt- und ehrenamtlichen Gruppen – hier sei auch die a.l.s.o. erwähnt – mit ihrem Engagement für die Geflüchteten.

Schwäbisch Gmünd hat also eine lange Tradition in der Beherbergung Geflüchteter.

Nicht zuletzt sind im Februar nach der unsäglichen Zusammenkunft in Potsdam, wo rechte Kräfte beratschlagten, wie Geflüchtete und ihre Helfer – auch die mit deutschem Pass – ausgewiesen und „remigriert“ werden könnten, landesweit sehr viele Menschen auf die Strasse  gegangen und haben bei den Demonstrationen Demokratie und Menschenrechte gefordert – auch hier in Schwäbisch Gmünd auf diesem Platz waren es über 3000 Menschen, die man vorher nicht gesehen und nicht gehört hat.

Darauf können wir alle sehr stolz sein – und das soll uns allen Mut machen.

Diese reichen Erfahrungen in Schwäbisch Gmünd sollen uns Mut machen, den populistischen rechten und menschenverachtenden Plänen der AfD mutig entgegenzutreten.

Es soll uns Mut machen, allen denjenigen, die die Geflüchteten ausgrenzen wollen, entschiedenen Widerstand zu leisten.

Und ich erinnere ebenfalls daran: 75 Jahre allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 75 Jahre Grundgesetz – und wir haben in Schwäbisch Gmünd die Gmünder Charta der Gemeinsamkeiten-  für Offenheit, Respekt und Toleranz aller Menschen.

Lasst uns allen Flüchtlingsgegnern und insbesondere der AfD mit diesen Argumenten gegen ihre verheerenden Pläne mit den Migranten die Stirn bieten!

Lasst uns nicht von unserem Zorn und von unserer Wut leiten.

Gebt allen Populisten und Volksverführern keine Chance – lasst uns zu Mutbürgern werden, lasst uns mutig mit unseren Argumenten unsere Demokratie verteidigen.

Ich habe einen Traum:

Dass wir in naher Zukunft sagen: der Januar 2024 war eine Zeitenwende, eine Zeitenwende, in der die die Stimmung friedlich gekippt ist: wieder hin zu einer wertschätzenden, freundlichen und aufnahmebereiten Willkommenskultur für Geflüchtete.

Lass uns gemeinsam auf diesem Weg gehen.

Lasst uns diesen Traum verwirklichen.

Helmut Zehender